Kunst am Flughafen Tegel
Wer erinnert sich noch der inneren Erlebnisse
seiner Kinderzeit?
Viele werden Ähnliches erlebt haben, zum Beispiel
in den großen Ferien auf einer Wiese liegen und in den Himmel schauen, um dort
die dramatischen Ereignisse zu beobachten, die sich aus dem atmosphärischen
Zusammenspiel von Wolken und Licht entwickeln. Immer wieder verwandeln die
Wolkenbildungen ihre Formen und regen die Phantasie dazu an, alles Mögliche
hineinzusehen:
Gebirge, riesige Burgen, Elefantenherden, Schiffe
mit geblähten Segeln fahren vorüber, Drachenschwärme kommen geflogen, und
zuweilen reiβen die Wolkengebilde auf, und durch ein riesiges
Tor brechen die Sonnenstrahlen, als sei der Himmel für Chöre von Posaunenengeln
geöffnet worden.
Die meisten von uns haben das vergessen, und wenn
heute der Fluggast aus dem Fenster seiner Maschine schaut, und rings auf Wolken
blickt, wendet er sich üblicherweise gelangweilt der Tageszeitung au.
Die Kunst hat u.a. die Aufgabe, die verschütteten
Fähigkeiten unseres Geistes, zu denen auch die Phantasie gehört, wieder
anzuregen.
Manfred Henkels Bilder-Zyklus „Wolkensprache I“
ist dafür ein Beispiel. Das 3 x 6 m groβe Gemälde besteht aus 7 Teilen
und gleicht in seinem Aufbau beinahe einem Altarbild. Es ist auch etwas
Ähnliches, nur ist es nicht für einen Kirchenraum geschaffen, sondern es
befindet sich im Flughafen Tegel am richtigen Ort. Der Fluggast, der in der
Wartezeit vor seinem Abflug noch etwas Muβe hat, ist dazu aufgefordert,
sich in das Bild zu vertiefen. Ein kurzer Blick genügt da nicht, sondern es
bedarf einiger Zeit, um in eine ruhige
Stimmung zu kommen, die das Bild erschließt. Verschiedene Ausschnitte des
Bildes zeigen auf verschiedene Möglichkeiten der Wolkensprache, die unsere
Phantasie spielerisch dazu anregen, selbst tätig zu werden, wirken dadurch auf
unsere Stimmung und unser Gemüt. Wer sich lange genug in das Bild vertieft,
wird spüren, dass er in eine Geistesstimmung versetzt wird, die ihm den
Eindruck des Schwebens vermittelt. So antwortet unser Inneres auf die Ansprache
des Bildes.
(Prof Dr. Eberhard Roters,
in Berlin Flugplan, Juli 1983, 31.Jahrgang, S.7)
Foto von Gertrud Agathe Henkel,
Foto von Gertrud Agathe Henkel,
Manfred Henkel beim Malen von
Wolkensprache I, Flughafen Tegel,
21.11.1982
weitere Informationen zur Objektgeschichte und Fotos zu dem Wandbild Wolkensprache I:
BiB, Bildhauerei in Berlin Wolkensprache I
Jürgen Tomisch/Barbara Anna Lutz 2020
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